Historische Aufnahme: Schwebebahn um 1900 in Höhe der Stütze 10, Blick vom Kaiserplatz in die Kaiserstraße in Vohwinkel

125 Jahre Bürgerverein Vohwinkel – Teil 2

Zweiter Teil eines Vortrags von Dr. Uwe Eckardt (Stadtarchivleiter a.D.) am 11. April 2019 anlässlich eines Empfangs zur 125-Jahrfeier des Bürgervereins Vohwinkel im BürgerBahnhof.

In diese Chronik Wuppertaler Vereine reihen sich um 1890 die ersten Bürgervereine ein. Die Anlässe zu ihrer Gründung sind unterschiedlichster Art. Der Bürgerverein Ronsdorf-Linde zum Beispiel entwickelte sich aus einem Weihnachtsverein, der sich die Aufgabe gestellt hatte, den Ärmeren in der Gemeinde zu helfen und sie mit Kartoffeln und Heizmaterial zu versorgen. Der Ronsdorfer Heimat- und Bürgerverein entstand 1958 aus dem Gründungskomitee für das Ronsdorfer Heimatfest.

Bereits diese beiden Beispiele verdeutlichen die große Spannbreite von Gründungsanlässen. In der Regel waren es jedoch die konkreten Sorgen der Bürger, die zu Vereinsgründungen führten. Dazu zählten immer wieder die schlechte Straßenbahn- und Busanbindung, der weite Weg zur nächsten Poststelle, die unzureichende Straßenbeleuchtung usw.

Einen besonders wichtigen Anlass zur Gründung bzw. Reaktivierung von Bürgervereinen waren in unserem Raum die ersten Eingemeindungsbestrebungen der Großstädte Elberfeld und Barmen um 1900 sowie die kommunale Neugliederung des Rheinischwestfälischen Industriegebietes in den 1920er Jahren und die kommunale Neugliederung in Nordrhein- Westfalen nach 1970. Für Gründungen aus diesem Anlass gibt es gute Beispiele. Ich beginne mit Vohwinkel.

In den Sitzungen des Rheinischen Provinziallandtages 1911wurde auch die Frage der Eingemeindung Vohwinkels nach Elberfeld diskutiert, jedoch wegen der Beendigung der Sitzungsperiode nicht abschließend behandelt. Natürlich hatten diese Beratungen in der Bevölkerung für Unruhe gesorgt, die sich jedoch nach der Vertagung der Verhandlungen allmählich wieder legte. Die befürchtete dauerhafte Spaltung der Einwohner in zwei Lager blieb aus. „Vohwinkel atmete auf“, wie es in einem Zeitungsartikel aus dieser Zeit heißt. Nach kurzer Zeit erregten sich die Gemüter jedoch erneut.

Was war passiert? Am 7. Juli 1911 gründeten erbitterte Gegner der Eingemeindung im „Dörnerschen Lokale“ „in aller Stille, in größter Heimlichkeit“ einen „Bürger-Verein“, in dem Befürworter der Eingemeindung von Anfang an unerwünscht waren. Der Vorstand setzte sich wie folgt zusammen: Fabrikant Wilhelm Homann (1. Vorsitzender), Dr. Ernst Schirp (stellvertr. Vorsitzender), Julius Kloster (Kassierer) und Hermann Nilges (Schriftführer). In der Presse wurde die Befürchtung artikuliert, dass, abgesehen von der angeblich arroganten „Abgehobenheit“ der Vereinsgründer, durch die Beschränkung des Vereinsziels auf den Widerstand gegen die Eingemeindung die Bevölkerung erneut gespalten werden könnte. In der Tat erfolgte bereits am 11. Juli 1911 im „Deutschen Kaiser“ die Gründung des „Allgemeinen Bürgervereins“. Im Namen des provisorischen Ausschusses rechtfertigte der Fabrikant Friedrich Hermann Wülfing die Bildung eines zweiten Vohwinkeler Bürger-Vereins mit dem Bemühen, die „Interessen aller Bürger zu vertreten, deren Wünsche entgegenzunehmen, sie zusammenzufassen, sie an geeigneter Stelle zur Geltung zu bringen und ihnen Ausdruck zu verleihen“.

Die kontrovers geführte Diskussion, an der sich auch Wilhelm Hohmann und Dr. Ernst Schirp beteiligten, war lebhaft. Selbst Heinrich Bammel ergriff das Wort, ausdrücklich nicht als Bürgermeister, sondern als Vohwinkeler Bürger. Er bat darum, möglichst solche Mitbürger in den Vorstand zu wählen, die sich schon bisher mit den Interessen der gesamten Bürgerschaft beschäftigt hätten. Schließlich wurde Friedrich Hermann Wülfing mit großer Mehrheit zum 1. Vorsitzenden gewählt. In den während der Debatten zirkulierenden Einzeichnungslisten trugen sich spontan 231 Vohwinkeler ein. Mehr ist leider den beiden dünnen Akten im Stadtarchiv nicht zu entnehmen.

Ihnen allen ist bekannt, dass es in der Folgezeit nicht zur Eingemeindung Vohwinkels nach Elberfeld gekommen ist, im Gegenteil: Am 12. Februar 1921 erhält die Landgemeinde Vohwinkel, die damals 15.836 Einwohner zählt, mit der Verleihung der Städte-Ordnung die Stadtrechte. Über den 1. August 1929 sprechen wir heute nicht.  Am 5. August 1922 wurde die Gemeinde Langerfeld nach Barmen eingemeindet. Als die Eingemeindungspläne bekannt worden waren, bildete sich der bereits bestehende Einwohnerausschuss zur Erhaltung der Selbständigkeit Langerfelds und Nächstebrecks um zum „Westfalenbund“, der sich wie folgt definierte: „Vereinigung der westfälischen Bewohnerschaft der früher selbständigen Gemeinden Langerfeld und Nächstebreck zur Vertretung der Interessen und der Wiederherbeiführung der gemeindlichen Selbständigkeit im Verbande der westfälischen Heimatprovinz sowie zu Erhaltung und Pflege westfälischer Geselligkeit und Eigenart.“ Innerhalb weniger Monate zählte der „Westfalenbund“ rd. 7.300 Mitglieder, fast 2/3 der Wahlberechtigten des ganzen Amtes. Als jedoch 1928 die Pläne zur Bildung der Gesamtstadt Wuppertal konkret wurden und damit der Plan einer Rückgemeindung nach Westfalen überholt war, gründeten weitsichtige Bürger Langerfelds am 5. Juli 1928 einen „Bezirksverein“, den Vorläufer des heutigen „Bürgervereins Langerfeld“.

Die Ortschaft Dönberg, die politisch zu Neviges-Hardenberg und damit zum Landkreis Düsseldorf-Mettmann gehörte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein begehrtes Wohngebiet. Der dadurch bedingte Bevölkerungszuwachs führte Anfang 1970 zur Überlegung, einen Bürgerverein zu gründen und damit die Interessen aller Einwohner gegenüber der Verwaltung in Velbert besser vertreten zu können. Aufgrund der aufkommenden Gerüchte um eine bevorstehende Eingemeindung nach Wuppertal änderte daraufhin der Bürgerverein seine Zielsetzung, Es wurde eine Fragebogenaktion gestartet. Das Ergebnis war mit 73,6 Prozent der Stimmen ein eindeutiges Votum für den Verbleib Dönbergs bei Neviges. Bei den Einwohner, die bereits länger als fünf Jahre in Dönberg lebten, waren es sogar 83,1 Prozent. Der Bürgerverein teilte diese Zahlen voller Euphorie dem NRW-Innenminister sowie den Fraktionen der im Düsseldorfer Landtag vertretenen Parteien mit. Er fand jedoch kein Gehör. Die Eingemeindung nach Wuppertal erfolgte zum 1. Januar 1975. Fortan beschäftigten den Bürgerverein wieder Alltagsdinge wie die Frage der notwendig gewordenen Straßenumbenennungen oder des Ersatzes der Mülltüten durch Mülltonnen.

In der langen Geschichte der Bürgervereine bildete die Zeit des Nationalsozialismus eine tiefgreifende Zäsur. Bereits 1933 setzte die Gleichschaltung der meisten Vereine ein, die in das Deutsche Volksbildungswerk der Deutschen Arbeitsfront eingegliedert wurden. Der Gedanke der Volksgemeinschaft, der eine soziale Harmonie versprach, ersetzte die Bürgerinitiative. Aus verständlichen Gründen meldeten sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die meisten Bürgervereine erst wieder Anfang der 1950er Jahre zurück. Die Wohn- und Schulraumnot gehörte auch in Vohwinkel jetzt zu den drängendsten Problemen. Offenbar hatten Mitglieder der unter dem Vorsitz des Rektors Julius Peckhaus gebildeten Arbeitsgemeinschaft Vohwinkeler Bürgervereine Anfang 1954 in einer Art konzertierten Aktion fast 200 Briefe an die zuständigen Verwaltungsstellen geschickt und sich darin wegen die Benachteiligung der Außenbezirke gegenüber den Zentren Elberfeld und Barmen beschwert. Dies erregte den Unmut der Bezirksvertretung unter dem Vorsitz des Stadtverordneten Karl Kolaß (SPD). Schließlich einigten sich Bezirksvertretung und Bürgervereine darauf, in Zukunft alle wichtigen kommunalen Fragen gemeinsam vorzuklären. Diese gute und sinnvolle Zusammenarbeit pflegen heute die meisten Wuppertaler Bürgervereine. Zu den ältesten zählt – wie wir jetzt wissen – der Bürgerverein Vohwinkel.

Mit der Feier des 125jährigen Bestehens verbinden wir alle den Dank für das für die Bürgerinnen und Bürger dieses Wuppertaler Stadtteils bisher Geleistete und wünschen für die Zukunft alles Gute.


Text: Dr. Uwe Eckardt
Bild: Archiv der Wuppertaler Stadtwerke AG, Sammlung Klaus Hoffmann, digitalisiert von Andreas Schäfer

Quellen:
Heinz Wolff: Wuppertaler Bürgergesellschaften. Geschichte der Gesellschaft Concordia Barmen 1801-1978 und der Schützengesellschaft Elberfeld am Brill 1805-1978, Wuppertal, 1978.
Eberhard Illner: Bürgerliche Organisierung in Elberfeld 1775-1850 (Bergische Forschungen XVII), Neustadt an der Aisch, 1982.
Wolfgang Hardtwig: Artikel „Verein“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch- sozialen Sprache in Deutschland. Hg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Bd. 5: St-Vert, Stuttgart, 1990, S. 789-829.
Stadtverband der Bürger- und Bezirksvereine Wuppertal (Hg.): Unsere Stadt. Wuppertal und seine Bürgervereine, Wuppertal, [1993].

Akten des Wuppertaler Stadtarchivs:
A VII 159 b: Bürgerverein Vohwinkel, 1911-1912.
A VII 159 c: Allgemeiner Bürgerverein Vohwinkel, 1911-1912.
P II 105: Auer Verein, 1823-1835.
P II 235: Verschönerungsverein Vohwinkel, 1892-1929.
P II 236: Brieftauben-Gesellschaft „Eilbote“, Vohwinkel, 1898-1922.
P II 237: Deutscher Flottenverein, Zweigstelle Vohwinkel, 1899-1929.
In den Akten D V 921ff.: Bezirksausschüsse, Bezirksvertretungen finden sich immer wieder auch Vorgänge, die die Vohwinkeler Bezirksvertretung und den Bürgerverein betreffen.