Historische Aufnahme: Schwebebahn um 1900 in Höhe der Stütze 8, am Kaiserplatz / Stationsgarten in Vohwinkel

125 Jahre Bürgerverein Vohwinkel – Teil 1

Erster Teil eines Vortrags von Dr. Uwe Eckardt (Stadtarchivleiter a.D.) am 11. April 2019 anlässlich eines Empfangs zur 125-Jahrfeier des Bürgervereins Vohwinkel im BürgerBahnhof.

Dem Vohwinkeler Bürgerverein geht es wie vielen anderen Bürgervereinen auch. Ihre, gelegentlich recht weit zurückreichende Geschichte ist, wenn überhaupt, zumeist nur sehr lückenhaft zu dokumentieren. Das liegt vielfach daran, dass die Unterlagen wie Protokollbücher, Akten mit dem Schriftverkehr und Mitgliederlisten sich im Besitz der Vorstandsmitglieder befunden haben und dann kriegsbedingt oder durch häusliche Katastrophen wie Wasser-schäden verloren gegangen oder aus Unkenntnis einfach weggeworfen worden sind.

Nun ist durch Zufall ein Exemplar der „Dornaper Zeitung. General-Anzeiger für den Kreis Mettmann“ vom 6. Februar 1894 aufgetaucht. Danach lädt der Vohwinkeler Bürger-Verein zu einem Vortrag am 8. Februar ins Vereinslokal „Albert Feuerstein“ ein. Referent ist der Elberfelder Chefredakteur Wilhelm Emmert, der zum Thema „Bürgerverein und Kommunalsteuern- Reform“ spricht. Es ist also aufgrund dieser Anzeige davon auszugehen, dass der Verein sogar noch einige Jahre vor 1894 gegründet worden ist. Leider gibt es meines Wissens kein Archiv, das die Dornaper Zeitung in seinen Beständen verwahrt hat. Wir haben also nicht die Möglichkeit, durch systematische Durchsicht älterer Zeitungsnummern das tatsächliche Gründungsdatum des Vohwinkeler Bürgervereins zu ermitteln.

Der Cronenberger Heimat- und Bürgerverein ist im Hinblick auf sein Gründungsdatum besser aufgestellt als der Vohwinkeler Verein. Ich zitiere aus dem Protokoll der Gründungsversammlung vom 6. März 1892: „Von vielen Seiten wurde es schon längst als ein Bedürfnis empfunden, hier einen Bürgerverein zu gründen, wie solche in allen unseren Nachbarstädten bereits bestehen, der es sich namentlich zur Aufgabe macht, die bürgerlichen Gesamtinteressen zu vertreten, berechtigte Wünsche und Anträge, die im öffentlichen Wohle ihre Begründung haben, an geeigneter Stelle vorzubringen, auf bestehende Mängel aufmerksam zu machen, überhaupt die bürgerlichen Interessen nach allen Richtungen hin zu fördern und zu wahren“.

Es ist davon auszugehen, dass das Gründungsprotokoll des Vohwinkeler Bürgervereins ähnlich gelautet hat. Für ein Gründungsjahr Anfang der 1890er Jahre spricht auch die Tatsache, dass sich u.a. 1892 der Verschönerungsverein, 1898 die Brieftauben-Gesellschaft „Eilbote“ und 1899 die Zweigstelle der Deutschen Flottenvereins in Vohwinkel gebildet haben. Leider wissen wir auch über diese Vereine nur sehr wenig.

Der im Altaktenverzeichnis des Stadtarchivs ausgewiesene Band über den Verschönerungsverein ist nicht auffindbar. Die Akte über die Brieftauben-Gesellschaft „Eilbote“ überliefert u.a. die Satzung. Danach bezweckt der Verein laut § 1 „die Förderung der Brieftaubenzucht sowie die Veranstaltung von Tauben-Wettfliegen durch gemeinschaftlich vorzunehmende Reisetouren“. Laut § 7 verpflichten sich die Mitglieder „im Kriegsfalle ihre Tauben dem Königlich-Preußischen Kriegs-Ministerium zur Verfügung zu stellen“. 1901 schließlich zählt die Gesellschaft unter dem Vorsitz des Gastwirtes Otto Lohmann 10 Mitgliedern mit insgesamt 264 Militär-Brieftauben. Schon 1913 besteht dieser Verein nicht mehr.

Bleibt noch die 1899 eingerichtete Zweigstelle Vohwinkel des im Jahr zuvor gegründeten Deutschen Flottenvereins, dessen Ziel es war, das Interesse an der Kriegsflotte, ihrer Bedeutung und ihrem weiteren Ausbau zu wecken. Der in enger Beziehung zu staatlichen Behörden stehende und von der Industrie unterstützte „Agitationsverband“ zählte rd. 10 Jahre nach seiner Gründung über 1 Million Mitglieder. Aus dem im Stadtarchiv verwahrten diesbezüglichen Aktenband erfahren wir, dass sich bis 1903 34 Vohwinkeler entschlossen hatten, diesem Verein beizutreten, und dass eine 1904 von dem Verein für Schüler angebotene Fahrt nach Helgoland nur auf geringes Interesse stieß.  Doch blicken wir zunächst etwa 100 Jahre zurück, um dann die Bürgervereine, so wie sie heute bestehen, in die Geschichte des Wuppertaler Vereinswesens einzuordnen. Über die entsprechenden Verhältnisse in Elberfeld sind wir dank Eberhard Illners Dissertation von 1982 bestens unterrichtet. Mit gutem Grund spricht er in dem von ihm untersuchten Zeitraum von 1775 bis 1850 nicht von Vereinswesen, sondern von „Bürgerlicher Organisierung“, andere Autoren verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff „Gesellungsweise“.

Am Anfang der Geschichte der bürgerlichen Organisierung im Wuppertal stand die „Erste Lesegesellschaft“ in Elberfeld, deren Gründung am 5. Januar 1775 von dem rationalistischen Gedankengut der Aufklärung bestimmt war. Heinrich Jung-Stilling, der in Elberfeld als Augenarzt praktizierte, formulierte in seiner Eröffnungsrede als Zielsetzung der Gesellschaft, die „Veredelung des Menschen durch Vermehrung seiner Kenntnisse und Verfeinerung seiner Sitten“ anzustreben. Dazu dienten eine Bibliothek, ein regelmäßiger Fachvortrag und eine gemeinsame Mahlzeit in geselligem Kreis. Kurfürst Karl Theodor erklärte sich nach einem Besuch der Elberfelder Gesellschaft zehn Jahre später zu ihrem Protektor.

Diese Einstellung des Landesherrn änderte sich jedoch grundlegend nach dem Ausbruch der französischen Revolution 1789, weil nun alle im Geiste der Aufklärung gegründeten Einrichtungen als mögliche Brutstätten der Rebellion angesehen wurden. Die Lesegesellschaft entging der Auflösung durch Verbot, indem sie die ursprünglich kennzeichnende Offenheit nach außen und das Gleichberechtigungsprinzip aufgab und den Charakter einer geschlossenen Erholungs- und Repräsentationsgesellschaft annahm. Aus dieser veränderten Lesegesellschaft entwickelten sich die zum Teil noch heute bestehenden bürgerlichen Gesellschaften. In Elberfeld waren dies unter anderen Casino und Schützengesellschaft am Brill sowie in Barmen Concordia und Union.

Es gab diese Art der bürgerlichen Organisierung auch sozusagen im Taschenformat. Bekannt sind u.a. die Zusammenschlüsse in den Elberfelder Bezirken Island und Aue. Die 1823 gegründete und auf 24 Mitglieder beschränkte Gesellschaft „Aue“ verfolgte wie die großen Gesellschaften den Zweck, „sich nach vollbrachter Arbeit, gesellig durch Conversation, kleine Spiele und das Lesen schicklicher Lectüre zu unterhalten und zu erholen“.

Kennzeichnend für diese Gesellschaften waren die Exklusivität und Geschlossenheit. Diese wurden in erster Linie durch das komplizierte Aufnahmeverfahren gewahrt. Ein ordentliches Mitglied schlug schriftlich ein neues Mitglied vor. Der Vorstand teilte dies allen Mitgliedern mit und setzte den Termin für den Wahlvorgang -die sogenannte Ballotage mit schwarzen und weißen Kugeln- fest. Bei der Kugelung hatte wenigstens ein Drittel der Mitglieder persönlich anwesend zu sein. Wenn ein Drittel der anwesenden Mitglieder den Aufnahmeantrag abgelehnt hatte, fand die Aufnahme nicht statt. Hinzu kam für neue Mitglieder eine relativ hohe Aufnahmegebühr -das sogenannte Entree- und die Verpflichtung, sich an Umlagen, z. B. für den Bau eines Gesellschaftshauses oder die Ausrichtung besonderer Festlichkeiten, zu beteiligen.

Die Honoratioren der seit Beginn des 19. Jahrhunderts aufblühenden Städte Barmen und Elberfeld blieben also auf diese Weise unter sich. Private und geschäftliche Verbindungen wurden in angenehmer Atmosphäre geknüpft und genutzt. Es entstanden so attraktive Knotenpunkte im Netzwerk bürgerlicher Geschäftsbeziehungen, die nicht nur der persönlichen Karriere förderlich waren, sondern auch Schaltstellen gesellschaftlicher und politischer Macht in den Städten bildeten.

Natürlich hat auch Friedrich Engels, dessen 200. Geburtstag wir im kommenden Jahr feiern, diese Gesellschaften in seinen „Briefen aus dem Wupperthale“ von 1839 auf seine eigene satirische Art ins Visier genommen: „Es ist ein schreckliches Leben, was diese Menschen führen, und sie sind doch so vergnügt dabei; den Tag über versenken sie sich in die Zahlen ihrer Konti, und das mit einer Wut, mit einem Interesse, daß man es kaum glauben möchte; abends zur bestimmten Stunde zieht alles in die Gesellschaften, wo sie Karten spielen, politisieren und rauchen, um mit dem Schlage neun nach Hause zurückzukehren. So geht es alle Tage ohne Veränderung, und wehe dem, der dazwischenkommt; er kann der ungnädigsten Ungnade aller ersten Häuser gewiß sein“.

Es liegt auf der Hand, dass diese bürgerlichen Gesellschaften mit den Vereinen, wie wir sie heute kennen, so gut wie nichts gemeinsam haben. Bis zu deren Herausbildung war es aber ein langer und auch hürdenreicher, weil von der Obrigkeit argwöhnisch beobachteter Weg. Erst zwischen 1850 und 1873 setzte sich „der Verein endgültig als die Gesellungsweise der bürgerlichen und entstehenden industriellen Gesellschaft durch und wurde seither zur selbstverständlichen, alltäglichen und nicht mehr eigens diskutierten Organisationsform gesellschaftlicher und politischer Aktivitäten“.

Viele Vereine, auch im Wuppertal, sind stolz auf ihre zum Teil weit in das 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte, weshalb oft das Gründungsjahr Bestandteil des Vereinsnamens ist. Ein Blick in die älteren Adressbücher, die es heute leider nicht mehr gibt, fördert u.a. zutage: Schützengemeinschaft Elberfeld e.V. 1830, Gesangverein Eintracht Ronsdorf 1849, Elberfelder Schachgesellschaft 1851, Männerchor Vohwinkel 1879,Turn- und Spielgemeinde (TSG) 1880 Vohwinkel, Wasserfreunde Wuppertal 1883 und RGZV (Rasse- Geflügel- Zucht Verein) 1891.

Insider wissen, auch wenn es nicht im Namen steht, dass z. B. der Instrumentalverein Wuppertal e.V. bereits 1830, der Bergische Geschichtsverein 1863 und der Barmer Verschönerungsverein 1864 gegründet worden sind.

Den zweiten Teil finden Sie bald auf der Website.


Text: Dr. Uwe Eckardt
Bild: Archiv der Wuppertaler Stadtwerke AG, Sammlung Klaus Hoffmann, digitalisiert von Andreas Schäfer

Quellen:
Heinz Wolff: Wuppertaler Bürgergesellschaften. Geschichte der Gesellschaft Concordia Barmen 1801-1978 und der Schützengesellschaft Elberfeld am Brill 1805-1978, Wuppertal, 1978.
Eberhard Illner: Bürgerliche Organisierung in Elberfeld 1775-1850 (Bergische Forschungen XVII), Neustadt an der Aisch, 1982.
Wolfgang Hardtwig: Artikel „Verein“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch- sozialen Sprache in Deutschland. Hg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Bd. 5: St-Vert, Stuttgart, 1990, S. 789-829.
Stadtverband der Bürger- und Bezirksvereine Wuppertal (Hg.): Unsere Stadt. Wuppertal und seine Bürgervereine, Wuppertal, [1993].

Akten des Wuppertaler Stadtarchivs:
A VII 159 b: Bürgerverein Vohwinkel, 1911-1912.
A VII 159 c: Allgemeiner Bürgerverein Vohwinkel, 1911-1912.
P II 105: Auer Verein, 1823-1835.
P II 235: Verschönerungsverein Vohwinkel, 1892-1929.
P II 236: Brieftauben-Gesellschaft „Eilbote“, Vohwinkel, 1898-1922.
P II 237: Deutscher Flottenverein, Zweigstelle Vohwinkel, 1899-1929.
In den Akten D V 921ff.: Bezirksausschüsse, Bezirksvertretungen finden sich immer wieder auch Vorgänge, die die Vohwinkeler Bezirksvertretung und den Bürgerverein betreffen.